Martin Flemming - But I still love the old world

25 Sep – 14 Nov 2009
Exhibition view Galerie koal / 2009
SEA, SUN, FUN / salty blues trio / 2008 / Glass, illuminant / Dead Sea salt
Zurück in die Zukunft / 2008 / DIA show
Zurück in die Zukunft / 2008 / DIA show / Installation view
en

Martin Flemming spent the 22 years of his life in Weimar. He was born there and attended Bauhaus University before moving to continue art education at Staedelschule in Frankfurt/Main, which is where we met. In recent years Flemming has created a series of sculptures and architectural interventions commenting on the conventions of the gallery space and exhibition display, at the same time continuing to accentuate formalist aspects of art making.

For one of his earlier pieces, untitled (2003), Flemming collected 89 second-hand drawers in different colours and sizes, and fitted them into a wooden construction within a window, that functions like a shelf. Highlighting traces and layers in a painterly idea the mass-produced shelves gained individual identity through the artist’s arrangements. This stack of drawers could be approached from two sides. Inside the space the viewer could climb a ladder and conduct alterations in the assemblage. Seen from outside the window the piece resembled Bauhaus’ aim to functionalize art, delivering objects to society, which are considered for use and have an artistic quality not only aimed at a small part of the society. Placed as a sort of membrane between public and institutional space, untitled (2003) can be understood as a critique of the art school within which it was created while at the same time playing with the inherent qualities of the utopian idea Bauhaus. 

For but i still love the old world at Galerie Koal, Flemming created a group of suspended lamps (Sea, Sun & Fun, 2009) that on first sight are equally akin to Bauhaus aesthetics. With the help of salt water and ink the artist has at random created imagery on the otherwise indistinguishable pristine bowls. With this work Flemming also associates the city of Tel Aviv, host to a large group of Bauhaus style architecture that over the years of inhabitation has decayed, due to the settlements proximity to sea, wind and salt. The accidental mode of production resonates in Flemming’s tin sculptures, derived from the German New Years Eve tradition of pouring hot lead into cold water — a way of fortune telling – whereby participants discuss the look of the end-product and its potential meaning one by one. Both works continue the artists concerns with the modes of artistic production and the politics of viewing where our individual encounter with a work of art is burdened by its broad scope for interpretation. 

A minimally designed record player takes centre stage in the exhibition at Galerie Koal. It carries a round iron board with an etching, reminiscent to the kind of dub plates DJ’s produce when testing new tracks on an audience before producing them on vinyl. The etching on Flemming’s dub plate is evocative of the rotor boards by Marcel Duchamp. The record player’s needle produces a permanent ‘white noise’ audible in the entire exhibition space. This piece continues Flemming’s interest in minimalist ideas and a concurrent fascination with obsolete media, which has also been manifest in his participation in Pedro Lagoa’s series of record breaking parties that took place at Frankfurt’s Stoltzestrasse (2007) and in Vienna (2008).

The history of neo-concrete poetry and art resonates when listening to this work and links to the artist’s only slide piece to date, Zurück in die Zukunft (2008) — also presented here. Found in a Swiss forest, the monument depicted, creates the illusion of stepping into the future and excavating an architectural site from the mid 1950’s when (neo-) concrete art and architecture had its heyday. Stumbling upon the hidden site the artist subsequently manipulated the depiction of a concrete pillar, merging the imagery in a game of forms thus letting the assemblage grow and shrink over the course of time. Accompanied by a triangle that plays a sound of iron hammering, Zurück in die Zukunft (2008) adds to the cacophony within the exhibition space. Neo-concrete art believed that the ‚geometric’ vocabulary it uses can express complex human activities. By means of sound Flemming transcends the mechanical relationships and creates an atmosphere that goes beyond the artists returning interest in the randomness of form. Thus, albeit considering traditions and styles from his native context, Flemming ventures free from any sort of melancholy that is inherent to the Modern Lovers ‘Old world’ song from which the title for this exhibition is derived.

Tobi Maier is a critic and curator based in New York.

de

Martin Flemming verbrachte 22 Jahre seines Lebens in Weimar. Dort wurde er geboren und dort besuchte er die Bauhaus Universität, bevor er sein Kunststudium an der Städelschule in Frankfurt am Main fortsetzte, wo wir uns zum ersten Mal begegneten. In den letzten Jahren hat Flemming eine Reihe von Skulpturen und architektonischen Interventionen geschaffen, die Kommentare zu den Konventionen des Galerieraums sowie des Ausstellungsaufbaus darstellen. Zugleich fährt er fort, formale Aspekte der Kunstproduktion zu akzentuieren.

Für eine seiner früheren Arbeiten, untitled (2003), sammelte Flemming 89 gebrauchte Schubladen in verschiedenen Farben und Formaten und passte sie in eine Holzkonstruktion in einem Fenster ein, das wie ein Regal fungierte. Indem Spuren und Schichten mit den Methoden der Malerei betont wurden, gewannen die industriell hergestellten Regalfächer durch das Arrangement des Künstlers eine individuelle Identität. Dieser Schubladenstapel war von zwei Seiten zugänglich. Im Innenraum konnte der Besucher eine Leiter erklimmen und Veränderungen an der Assemblage vornehmen. Von außerhalb des Fensters betrachtet erinnerte die Fensterarbeit an das Bauhaus Ziel, die Kunst zu funktionalisieren und der Gesellschaft Gegenstände an die Hand zu geben, die auf ihren Nutzen hin betrachtet werden können sowie eine künstlerische Qualität besitzen, die sich nicht nur an einen kleinen Teil der Gesellschaft richtet. Platziert als eine Art Membran zwischen öffentlichem und institutionellem Raum, kann untitled (2003) als Kritik der Kunstschule, innerhalb derer es geschaffen wurde, und zugleich als Spiel mit den inhärenten Qualitäten der utopischen Ideen des Bauhaus verstanden werden.

Für but I still love the old world in der Galerie koal hat Flemming eine Gruppe von Hängelampen geschaffen (SEA, SUN & FUN, 2009), die auf den ersten Blick gleichermaßen der Bauhaus-Ästhetik ähneln. Mithilfe von Salzwasser und Tinte hat der Künstler Bildelemente willkürlich auf den ansonsten ununterscheidbar makellosen Kugeln entstehen lassen. Flemming assoziiert mit dieser Arbeit auch die Stadt Tel Aviv, die eine große Anzahl an Bauten im Bauhaus-Stil beherbergt, welche über die Jahre durch ihre Bewohnung und unter dem Einfluss der nahen See, des Windes und des Salzes verfallen sind. Die zufällige Herstellungsweise findet ihr Echo in Flemmings Zinnskulpturen, die sich von der deutschen Tradition herleiten, zu Silvester geschmolzenes Blei in kaltes Wasser zu gießen – eine Form des Wahrsagens, bei der die Teilnehmer reihum das Aussehen des Resultats und seine möglichen Bedeutungen erörtern. Beide Arbeiten setzen die Auseinandersetzung des Künstlers mit den Arten künstlerischen Schaffens ebenso wie mit der Politik des Betrachtens, bei der die individuelle Begegnung mit einem Kunstwerk durch das breite Spektrum der Interpretationsmöglichkeiten belastet wird, fort.
Ein minimalistisch gestalteter Plattenspieler spielt die Hauptrolle in der Ausstellung in der Galerie koal. Auf ihm liegt eine eiserne Scheibe mit einer Radierung, die an die Art von Dubplates erinnert, die DJs produzieren, um neue Tracks vor Publikum ausprobieren, bevor diese auf Vinyl gepresst werden. Ebenso evoziert die Radierung auf Flemmings Dubplate Marcel Duchamps Rotoreliefs von 1935. Die Nadel des Plattenspielers produziert ein permanentes Rauschen, das im gesamten Ausstellungsraum zu hören ist. Die Arbeit bekundet Flemmings anhaltendes Interesse an minimalistischen Ideen sowie seine gleichzeitige Begeisterung für obsolete Medien, welche sich auch in seinem Beitrag für Pedro Lagoas Folge von record breaking parties manifestiert hat, die in der Stoltzestrasse in Frankfurt (2007) und in Wien (2008) stattfanden. Die Geschichte neo-konkreter Dichtung und Kunst schwingt mit, wenn man dieser Arbeit lauscht und verknüpft die Arbeit mit der bislang einzigen Dia-Arbeit des Künstlers, Zurück in die Zukunft (2008), die ebenfalls einen Teil der Ausstellung ausmacht. 
In einem Schweizer Wald gelegen, kreiert das abgebildete Monument die Illusion, in die Zukunft einzutreten und ein Stück Architektur aus der Mitte der 1950er Jahre auszugraben, als neo-konkrete Kunst und Architektur auf ihrem Höhepunkt angekommen waren. Nachdem er zufällig auf den Ort gestoßen war, manipulierte der Künstler im folgenden die Abbildung eines Betonpfeilers, indem er  verschiedene Bilder in einem Formenspiel miteinander verschmolz und so die Assemblage im Laufe der Zeit wachsen bzw. schrumpfen ließ. Begleitet von einem Triangel, der den Klang von Hammerschlägen auf Metall wiedergibt, mehrt Zurück in die Zukunft (2008) die Kakophonie im Ausstellungsraum. Neo-konkrete Kunst ging davon aus, dass das von ihr verwendete „geometrische“ Vokabular komplexe menschliche Handlungen auszudrücken vermag. Mit dem Mittel des Klangs transzendiert Flemming die mechanischen Verhältnisse und erzeugt eine Atmosphäre, die über das wiederkehrende Interesse des Künstlers an der Willkürlichkeit der Form hinausgeht. Wenngleich er Traditionen und Stile aus seinem biografischen Hintergrund ins Auge fasst, bricht Flemming doch aus jeglicher Art von Melancholie aus, wie sie dem Song Old world von The Modern Lovers innewohnt, von dem sich der Titel der Ausstellung herleitet.

Tobi Maier ist Kritiker und Kurator und lebt in New York.