For more than ten years now, Arne Schreiber’s works stem from the practice of putting countless parallel lines on seemingly even surfaces. Now, a new motif in oil on canvas is being shown as well as a mural, drawn on site with markers. The middle of the room is occupied by trunk-halves of a maple tree, its organic forms corresponding much more with the precision of the lines, rather than thwarting them.
Every line Schreiber draws involves something unexpected: an error on the canvas, a groove on the whitewashed plaster, a twitching of a muscle, an unintended deflection of the tools reshapes it and leaves marks behind on it. Every new parallel line adapts the shape of the line drawn before, adapts its randomness and might even add new ones. This is how a minimum of differences emerge, which Schreiber allows, even supports.
The impact of this procedure is especially conveyed by the hanging piece of work. The lines appear to be three dimensional and iridescently dynamic – however, they do follow the fixed, codified, almost mechanically executed principle of steady repetition. A field of drawn sine waves spreads out evenly on the surface, creates a close-up effect, enlarges and enhances tiny bits of information.
Through the directly applied mural, the artist is conducting a type of “room archeology” and reveals traces of past usage. However, he does not take the lines from the molded shapes of the soil, but takes, for the first time, something from what has grown – and does so double. The outlines of a branch resonate in it, a branch Schreiber had sawn off the exhibited tree-trunk; also, the repetition of the lines of the wall match the repeated sawing-movement.
The exhibition of the tree, its handling determined by the mural, does not only bring to light the usually invisible tools of the artist. It also underlines that in Schreiber’s conducting practice something unpredictable, natural has taken the place of what used to be the industrially produced precision of graph paper or the standardized flow of a ruler. First, Schreiber had to find the perfect longitudinal section in the trunk, had to wrest it from the wood.
By making the concealed patterns visible, Schreiber’s art appears to be a scanning microscope that probes into the optical depths and makes mathematical depths flicker between lines. In doing so, just like a precision instrument, it adheres to the constitution of the material and the regularities of its inscribed program. Yet, it follows its own measuring results by constantly regenerating the ongoing production back to what has already been produced.
Schreiber himself follows the work’s dynamic, submits to the working process, a simultaneously physically grueling, as well as contemplative flow producing act. He crafts every single line in a continuous flow, without any tools, often hours after hours; the operating hand holding a pen or brush turns into the teammate of the artist; while the artist becomes a mapmaker sensing and highlighting the tiny contour lines of the working base. He becomes the seismograph that records the smallest deviations from the evenness, enhances and continues them. He also becomes a reprograph, one that does not reproduce, but monitors the principle of repetition keeping it flexible so that it, in spite of the change, remains consistent.
Matthias Bauer / 2014
Seit über zehn Jahren entstehen die Arbeiten von Arne Schreiber aus der Praxis, unzählige parallele Linien auf scheinbar regelmäßige Flächen aufzubringen. Gezeigt wird nun ein neues Motiv in Öl auf Leinwand sowie eine vor Ort mit Markern gefertigte Wandzeichnung. Die Raummitte nehmen die Hälften eines Ahornstamms ein, deren organische Formen viel mehr mit der Präzision der Linien korrespondieren, als sie diese konterkarieren.
Jede Linie, die Schreiber zieht, inkorporiert Unvorhersehbares: ein Fehler in der Leinwand, eine Kerbe im geweißten Putz, ein Muskelzucken, eine unabsichtliche Ablenkung des Werkzeugs formt sie um und hinterlässt Spuren in ihr. Jede neue parallele Linie nimmt die Gestalt der zuvor gezeichneten auf, nimmt ihre Zufälligkeiten an und fügt ihr womöglich neue hinzu. So entstehen minimale Differenzen, die Schreiber zulässt, ja sogar fordert.
In der gehängten Arbeit wird der Effekt dieses Vorgangs besonders deutlich. Die Linien wirken dreidimensional und irisierend dynamisch — und folgen doch dem festgelegten, kodifizierten, beinahe mechanisch ausgeführten Prinzip der beständigen Wiederholung. Auf der Bildfläche breitet sich gleichsam ein Feld gezeichneter Sinuswellen aus, erzeugt Makroeffekte, vergrößert und verstärkt winzige Informationen.
Mit dem direkt aufgebrachten Wandbild betreibt der Künstler eine Art “Raumarchäologie” und legt Spuren vergangener Nutzung frei. Doch leitet er die Linien hier nicht nur aus der geformten Gestalt des Untergrunds, sondern erstmals auch aus etwas Gewachsenem ab — und zwar zweifach. In ihnen schwingt der Umriss eines Astes nach, den Schreiber vom ausgestellten Baumstamm sägte; auch entspricht die Wiederholung der Linien auf der Wand der wiederholten Bewegung beim Sägen.
Die Ausstellung des Baumes, dessen Bearbeitung die Wandarbeit so bedingte, holt nicht nur das sonst unsichtbare Werkzeug des Künstlers ins Licht. Sie unterstreicht auch, dass in Schreibers Ausführungspraxis etwas Unberechenbares, Natürliches an die Stelle getreten ist, die in früheren Phasen etwa die industriell gefertigte Präzision von Millimeterpapier oder der genormte Lauf eines Zeichenlineals inne hatte. Schreiber musste den optimalen Längsschnitt erst im Stamm finden, musste ihm dem Holz abringen.
Durch die Sichtbarmachung verborgener Muster wirkt Schreibers Kunst wie ein Rastermikroskop, das in optische Tiefen vordringt und mathematische Tiefe zwischen den Linien flimmern lässt. Dabei folgt es wie ein Präzisionsinstrument den Gegebenheiten des Werkstoffs und den Gesetzmäßigkeiten seines eingeschriebenen Programms. Es folgt aber auch dem eigenen Messergebnis, indem es die laufende Produktion stets auf das bereits Produzierte rückkoppelt.
Schreiber selbst folgt dieser Dynamik des Werks, gibt sich dem Arbeitsprozess hin, einem gleichzeitig physisch aufreibendem wie kontemplativen, Flow erzeugenden Akt. Er fertigt jede Einzellinie in einem durchgehenden Zug, ohne Hilfsmittel, in oft stundenlanger Repetition; die ausführende Hand mit Stift oder Pinsel wird dabei zum Mitspieler des Künstlers. Der wiederum wird zum Kartographen, der die winzigen Höhenlinien des Arbeitsgrundes abtastet und verdeutlicht. Er wird zum Seismographen, der kleinste Abweichungen von der Ebenmäßigkeit aufnimmt, verstärkt und fortsetzt. Er wird auch zum Reprographen, zu einem, der nicht vervielfältigt, sondern das Prinzip der Wiederholung überwacht und so flexibel lässt, dass es trotz des Wandels konsequent bleibt.
Matthias Bauer / 2014